Das open art museum St.Gallen zeigt Kunst, die nur schwer greifbar ist. Das Museum sammelt, bewahrt und vermittelt schweizerische «Naive Kunst», «Art Brut» und «Outsider Art» zeitgenössischer und verstorbener Künstler*innen. Die im Museum vertretenen Künstler*innen sind Laien und Autodidakt*innen ohne akademische künstlerische Ausbildung. Pro Jahr werden mindestens drei Wechselausstellungen und eine Sammlungsausstellung gezeigt.
Was ist «Outsider Art»?
Der Begriff «Outsider Art» (im Sinne abseits des Kunstbetriebs) geht auf den britischen Kunsthistoriker Roger Cardinal (1940-2019) zurück. Obwohl 1972 eigentlich als Übersetzung zu «Art Brut» gemeint, wird der Begriff «Outsider Art» schnell aufgegriffen. Im Gegensatz zur engen Definition von Jean Dubuffet, versteht Cardinal diese Kunst breiter und weniger ideologisch. Damit lässt sich der Begriff «Outsider Art» besser auf zeitgenössisches Kunstschaffen übertragen. Dubuffet bewunderte die rohe Ausdruckskraft, Spontaneität und Unabhängigkeit von Kunstmoden oder technischen Regeln. Er sah in ihnen die wahre Kunst – unberührt von Kommerz, Akademismus oder gesellschaftlichem Kalkül. Roger Cardinal erweiterte durch den Begriff «Outsider Art» Dubuffets «Art Brut» und öffnete ihn für Werke, die zwar ausserhalb des Mainstreams entstanden, aber nicht zwingend aus psychiatrischen Kontexten kamen.
«Outsider Art» im weiteren Verständnis
«Outsider Art» ist ein faszinierender Bereich der Kunstwelt, der zeigt, wie tief, ausdrucksstark und bedeutungsvoll Werke sein können, die nicht innerhalb etablierter Systeme entstehen. Sie fordert die klassischen Vorstellungen von Kunst, Talent und Anerkennung heraus – und erinnert uns daran, dass Kreativität überall zu finden ist. Der Ausdruck stellt den sozialen Status der Künstler*innen ins Zentrum der Betrachtung, ohne daraus die Maxime von antikultureller Kunst, den Anspruch auf Unverdorbenheit, Unverbrauchtheit der entsprechenden Kunstprodukte abzuleiten. Auf deren Randständigkeit im Kunstmarkt zielt die letztlich volatile Bezeichnung Marginal Art. Der Begriff «Naive Kunst» impliziert eine bestimmte Ausdruckshaltung, einen bestimmten, gleichsam durch kindliche Unschuld gekennzeichneten Blick auf die Umwelt. Der Ausdruck zustandsgebundene Kunst und der heute nicht mehr gebräuchliche Ausdruck Bildnerei der Geisteskranken bezeichnen Kunstprodukte von Menschen mit einer psychischen Behinderung oder einer psychischen Erkrankung, sind also im Wesentlichen deckungsgleich, wenn sich auch zwischen Prinzhorn und Navratil die Vorstellungen, was eine psychische Erkrankung darstellt, teilweise geändert haben. Der Ausdruck visionäre Kunst stellt die Bildinhalte in den Mittelpunkt und bezieht sich nicht nur auf Bilder von Autodidakt*innen, sondern zum Beispiel auch auf solche von anerkannten surrealistischen Maler*innen. Die meisten Bilder von Laienkünstler*innen lassen sich zwei oder mehreren dieser Begriffe zuordnen. Überschneidungen stilistischer oder soziologischer Art bestehen auch mit anderen künstlerischen Bewegungen und Kunstformen, etwa der Bauernmalerei, dem Informel, der Streetart oder dem Graffiti.
Beispielhafte Künstler*innen
- Adolf Wölfli (1864–1930), Schweiz: Psychiatriepatient, der in der Anstalt eine eigene Fantasiewelt mit komplexen Bild-Text-Collagen erschuf.
- Henry Darger (1892–1973), USA: Einsamer Hausmeister, der heimlich ein 15.000-seitiges Epos mit farbigen Illustrationen über Kinderkriege verfasste.
- Martín Ramírez (1864–1942, Mexiko/USA: Migrant in psychiatrischer Anstalt, zeichnete detailreiche Tunnel- und Reitermotive aus seinem inneren Erleben.
- Judith Scott (1860–1961), USA: Gehörlose Künstlerin mit Down-Syndrom, die skulpturale Objekte aus Garn und Fundmaterial erschuf.